Teure Ausfahrt mit dem Ferrari
Keine diplomatische Immunität: Das Kreisgericht verurteilt einen Mann wegen mehrfacher grober Verkehrsregelverletzung
rorschach. Auf der Fahrt vom Warteggkreisel nach Mörschwil überschritt der Angeklagte die zulässige Geschwindigkeit mehrmals deutlich. Gegenüber der Polizei und später auch vor Gericht berief er sich auf diplomatische Immunität.
Der rote Ferrari hat soeben die Autobahn verlassen, fährt in den Waldeggkreisel ein und verlässt ihn Richtung Mörschwil. Ohne Blinker. Der Ferrari beschleunigt, die Tachonadel steigt und steigt, im Durchschnitt auf 137,2 km/h. Selbst innerorts zeigt sie 94,7 respektive 99,6 km/h an. Was der Ferrari-Fahrer nicht ahnt, ihm folgt ein ziviles Polizeifahrzeug. Vor seinem Wohnhaus in Mörschwil stoppen ihn die Polizisten. Statt mit einem Führerschein weist sich dieser mit einem Diplomatenausweis der afrikanischen Republik Guinea-Bissau aus und beruft sich auf diplomatische Immunität. Er sei daher nicht zur Auskunft verpflichtet. Auf das fehlende CD-Nummernschild angesprochen, antwortet er, dass er dieses verloren haben müsse.
Hohe Geldstrafe gefordertWegen mehrfacher grober Verkehrsregelverletzung und weiteren Übertretungen musste sich der Ferrari-Fahrer vor dem Kreisgericht Rorschach verantworten. Vor den Schranken berief er sich erneut auf seinen diplomatischen Status. Er sei vor Gericht erschienen, ohne dessen Zuständigkeit anzuerkennen. Für den Staatsanwalt war der Fall klar: Der Angeklagte verfügt über keinen diplomatischen Status, da er nicht beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) akkreditiert ist. Er forderte, ihn schuldig zu sprechen und zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 3000 Fr. und einer Busse von 300 Fr. zu verurteilen. Mit den massiven Geschwindigkeitsübertretungen habe er sich der groben Verkehrsregelverletzung strafbar gemacht. «Nicht aus Unachtsamkeit, er hat absichtlich dagegen verstossen. Hier liegt Rowdytum vor.» Der Angeklagte zeige keine Einsicht, im Gegenteil, er versuche, sich der Strafe mit einem Trick zu entziehen. Die hohe Geldstrafe sieht der Staatsanwalt als angemessen, da der Angeklagte bereits wegen gleicher Vergehen verurteilt wurde. «Die früheren Strafen haben ihn nicht beeindruckt, sondern ihn dazu verleitet, sich ein fingiertes Dokument zu beschaffen.»
Verteidigung zieht alle RegisterAnders sah es die Verteidigung. Sie forderte, das Verfahren mangels Prozessvoraussetzung einzustellen, eben weil der Angeklagte diplomatische Immunität geniesse. Denn die Abklärungen des EDA bezüglich des diplomatischen Status reichten nicht aus, weitere seien zu tätigen. Sie beantragte dem Gericht, sollte es zu einem Verfahren kommen, den Angeklagten freizusprechen. Im Verlauf der Verhandlung bezog sich die Verteidigung auf mehrere Dokumente, die dem Angeklagten den diplomatischen Status bescheinigen. Die Staatsanwaltschaft wies alle als ungültig zurück und berief sich erneut auf die Abklärungen des EDA.
Die Verteidigung argumentierte daraufhin, dass der Angeklagte auf besagter Fahrt als diplomatischer Kurier unterwegs gewesen sei. Sollte das Gericht die Immunität trotzdem nicht anerkennen, so wäre der Angeklagte dennoch freizusprechen, weil er nie von der Untersuchungsbehörde einvernommen und nicht über sein Aussageverweigerungsrecht aufgeklärt worden sei.
Keine diplomatische ImmunitätDas Kreisgericht anerkennt die diplomatische Immunität des Angeklagten nicht. Es beruft sich dabei auf das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961. Dieses hält fest, dass diplomatische Vertreter im Empfangsstaat, hier der Schweiz, zu akkreditieren sind, was der Angeklagte nicht ist. Weiter stützt es sich auf die Beurteilung des EDA. Dieses spricht allen vorgelegten Dokumenten die Gültigkeit ab, da sich keines von ihnen auf die dafür zuständige Botschaft von Guinea-Bissau in Brüssel bezieht. Hätte der Angeklagte tatsächlich diplomatischen Status gehabt, wäre es für ihn ein leichtes gewesen, diesen von der Botschaft in Brüssel oder dem Aussenministerium in Bissau auf dem Dienstweg bestätigen zu lassen, begründet das Gericht.
Auch den Status als diplomatischer Kurier anerkennt das Kreisgericht nicht. Der Angeklagte hätte ein Schriftstück vorweisen müssen, das seine Stellung bestätigt und das Kuriergepäck beschreibt. Als «Diplomat» sollte er mit diesem Gepflogenheiten vertraut sein. Weiter lässt das Gericht auch die Forderung der Verteidigung nicht gelten, der Angeklagte müsse aus formellen Gründen freigesprochen werden. Vielmehr sieht es den Straftatbestand der groben Verkehrsregelverletzung als erfüllt an. Die Geschwindigkeitsübertretungen seien offensichtlich massiv. Deshalb spricht das Gericht den Angeklagten schuldig und verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 3000 Fr. (90 000 Fr.). Den höchstmöglichen Tagessatz verhängte es aufgrund der bedeutenden Vermögenswerte des Angeklagten. Weiter hat dieser eine Busse von 300 Fr. und die Verfahrenskosten zu bezahlen.
Tagblattausgabe von
ANDREA STERCHI